Freitag, 29. Dezember 2017

Buchrezension

Sorry daneben.

Begrabt mein Herz am Heinrichsplatz. So der Buchtitel. Früher wollten sie ihr Herz noch an der Autobahnauffahrt begraben wissen. Originaltitel ist, begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses und daher gemopst.
Mal ernsthaft. ;-) Am Heinrichsplatz werden keine Herzen begraben, auch keine gebrochenen. Bekommst keine Genehmigung für. Aber selbst wenn, was sollen wir mit dem Rest machen?
Aber um was geht es? Da hat ein Altautonomer ein Buch geschrieben und um es gleich vorwegzunehmen, empfehlen kann ich es nicht. Vor allem denen nicht, die vom Alter her nicht beteiligt waren und die Hintergründe nicht kennen. Denn im Text erfährt man dazu recht wenig.
Freundlicherweise wird auf eine Webseite verwiesen (erinnert an den kurzen und schlechten Netzauftritt der Interim), auf dem die einzelnen Kapitel genauer erklärt werden, plus Linkverweis. Ist ja gut und schön, aber entweder ich lese ein Buch oder sitze am Rechner. Ja und so steht da so Zeug wie die zwei Buchstaben, was RZ heißen soll. Oder auch IWF. Außenstehenden erschließt sich das nicht so aus dem Text heraus.
Aber zumeist besteht der Text aus einer Aneinanderreihung von Putzdemos. Es liest sich teilweise wie ein Heldenepos. Ernst Jünger in Steingewitter? Hätte als Alternativtitel auch gepasst. Das hört sich jetzt gemein an. Ist es auch. Es gibt eben Bücher, über die kannst dich echt ärgern. Für Dabeigewesene ist das irgendwie peinlich. Das ist also Geschichte von unten? Liest sich eher wie gedrucktes Kneipengerede, etwa nach dem bekannten Cartoon, und wir nichts wie rein ins Springerhaus und die Bullen hinterher.
Wer die letzten Jahrzehnte auf dem Mars verbracht hat und das zu lesen bekommt, muß zu dem Schluß kommen, von 1980 bis 93 hätte in der BRD ein Bürgerkrieg getobt. Und wer hat gewonnen?
Die Aneinanderreihung von Steinen, Scherben und Bullenknüppel ist unergiebig. Man erfährt kaum oder nur in Nebensätzen, um was es eigentlich ging. Doch es gibt auch Humorvolles zu lesen. Doch das ist nicht dem Text zu verdanken, sondern der temporären Veränderung. Kaputte Scheiben beim Ka De We. Das waren noch Zeiten. Längst sind die Kaufhäuser in der City mit Sicherheitsglas versehen. War den Versicherungen irgendwann zu teuer der Spaß. Da nützt dir heute auch ein Hammer nichts mehr.
Der Text ist retrospektiv geschrieben. Das weiß ich woher? Aus der Wortwahl. Der Autor schreibt was von K-Gruppen, aber erst 1980 fängt die Beschreibung an. Da war von den ML Parteien nicht mehr viel übrig und man sah und hörte nur noch selten was von denen. Könnt man drüber hinwegsehen. Dann fällt der Begriff Politsekten. Der fand erst um 2000 rum mit dem Internet Verbreitung. Im fraglichen Zeitraum von 80 – 93  gab es den Begriff nicht.  Wofür auch? Was es noch an Kleinsekten gab, war recht unsichtbar und bestimmte schon lange nicht mehr das Erscheinungsbild der Linken. Von der Mehrzahl der Gruppen wußte man noch nicht mal, ob es sie überhaupt noch gab. Es gab eben noch kein Internet, in dem jede Dreimannsekte eine große Partei vortäuschen kann.
Es gab die üblichen Aufrufe und noch etliche Gruppen, deren Namen am unteren Plakatrand zu lesen waren. Sah beeindruckend aus, doch auf der Demo selbst, glänzten sie durch Abwesenheit.
Aber warum schreib ich das? Nun, wenn man aus der Rückschau schreibt, darf man sich schon überlegen, was man erzählt und wozu. Wen will man was vermitteln? Den Teenies von heute? Was sollen die davon mitnehmen? Ach was waren wir militant. Was waren wir Helden. Stimmt ja gar nicht. Der Autor gibt ja schon die Stimmungslage zu und die war nicht immer cool und heroisch. Hätte ihm eh keiner abgekauft. Aber heut läuft ja nichts mehr, da habt ihr was verpasst.
So etwa gehen bereits die 68er Mythen. Man meint was verpasst zu haben.
Das ist es, was an dieser Literatur etwas aufstößt.
Was die internen Auseinandersetzungen angeht, da wird nur ein wenig angerissen. Dabei wäre das durchaus von Interesse, auch heute noch. Wenn es da über die Stimmung auf dem Treff geht, einen Tag nach dem ersten Mai Aufruhr der anschließend zur traditionellen Mai Randale führte. Da ist was vom brennenden Bolle zu lesen. Mittlerweile weiß man, der Laden wurde von einen Pyromanen angesteckt und hatte nichts direkt mit der Randale zu tun.
Über das Treffen zur Nachbereitung lesen wir, wer die Szenegesetze kennt, weiß das es spätestens jetzt besser ist die Klappe zu halten. Nein, es geht nicht um Indymedia. Hat sich aber fast so angehört. Kein Zufall.
Aber davon abgesehen, man könnt beim Lesen meinen, dem Autor ist jeder Stein wichtig. Kein Akt des Widerstands soll vergessen werden. Und was fängst mit an? Fehlt noch eine Statistik. Wieviel Steine flogen, wieviel m² Glas in Scherben? Wieviel Dellen im Blech der Wannen und und und. Na fürs Jahrbuch eben. ;-))
Die Beschreibung von Putzdemos endet 1993. Warum? Was ist passiert? Seitenstechen beim Flitzen? Nachgelassen? Oder von den Autonomenkids für n Bullenspitzel gehalten? Der Begriff Helicoptereltern war noch nicht geläufig, aber so könnts auch ausgesehen haben. Ey Alter, suchst deine Kinder? Das war jetzt mehr als gemein, aber so geht’s eben im Leben. Ab wann verirrst dich auf einen Autonomenblock um festzustellen, das ist echt nicht mehr deine Welt. Wann merkst, deine Anwesenheit wird zur Lachnummer? Hört sich jetzt sicher brutal an, aber so läuft’s eben.
Dazu passen die Andeutungen im Text, von ehemaligen Mitstreitern, die ihre Karriere nachholen oder Familien gründen. Soll heißen, manche wollten endlich normal leben. Warum? Nun so wie es der Autor beschreibt, scheint sich sein Leben zwischen versiffter Hausbesetzermatratze (immer diese Vorurteile *sfg*) Tränengasgranaten und Szeneaufrufen abgespielt zu haben.
Ist natürlich nicht der Fall, liest sich aber so. Und wenn nur zur Hälfte, eine etwas stressige Lebensweise. Irgendwann wirst eben zu alt für.
Oder doch nicht? Es fehlt ja nicht an genau solchen Exemplaren, man meint, sie sind seit Jahren nicht mehr aus ihrer kleinen überschaubaren Kiezwelt herausgekommen. Jedenfalls geistig nicht. Im Internet kann man sie treffen. Leben in ihrer kleinen Welt, in der sich alles um Szenethemen dreht und ignorieren mit aller Gewalt, daß es noch eine andere Welt gibt, in der es nicht um Antiimp, Antikap und Antipat geht. Um an dieser Stelle den Autor nochmal zu zitieren. Wer die Szenegesetze kennt, weiß, daß es spätestens jetzt besser ist in dieser Angelegenheit die Klappe zu halten. Au ja, das kannst heute noch online erleben. Oder konntest es auf Indymedia. Derzeit ist der linke Spielplatz geschlossen. Die Gesetze der Szene. Es gibt Sachen, die sind unantastbar. Früher war es die Arbeiterklasse, dann die kämpfenden Völker. Später kamen diverse Minderheiten dazu. Heute sind es Moslems und Migranten. Hat sich ja wenig geändert.
In einen Punkt freilich gab es einen Einbruch dessen, was man heute real world nennt. Der Umbruch im Osten. Da lesen wir, zu zweit fahren sie nach Leipzig zur Demo. 50 000 Menschen und sie zu zweit da drin? Was wollt ihr machen? Ein besseres Exempel hätte der Schreiber nicht anführen können, wie die Geschichte einfach über die Szene hinwegging ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Das führt genau zu diesem Thema. Vom Mauerfall wurden viele überrollt, auch die Autonomen. In Berlin profitierte die Linke sogar von der neuen Situation und es gab neue besetzte Häuser.
Aber es muß für viele traumatisierend gewesen sein. Wir sind eine kleine radikale Minderheit, wie es mal hieß. Und in der Tat, Mauerfall und Montagsdemo standen auch bei den Autonomen nicht auf dem Plan. Der Ostblock war für sie so etwas, daß man besser ignoriert, dieser bürokratische Stalinismus, bäh, haben wir nichts mit zu tun.  Aber andererseits, besser es gibt dieses Gegengewicht zum US Imperialismus. Umso größer der Schock, als genau dieses Gegengewicht derart zusammenkrachte.  Und selbst war man nicht viel mehr als Zuschauer.  Muß bitter gewesen sein. Auch als die Ossis hereinströmten und endlich all das auch haben wollten, was für die Linke nur Konsumterror und Verblendungszusammenhang war. Nun ja, ist ein Thema für sich.
Was zu einem weiteren Punkt führt, wo die Geschichte über die Autonomen hinweg gegangen ist, wobei freilich bereits klar sein sollte, die Autonomen gibt es gar nicht.  Ist nur so ein Begriff für ein Phänomen. Hier geht es um das Buchcover. Eine Graphik, die einen Zeitungsfoto nachempfunden ist. War u.a. in der TAZ gedruckt. Genau, wer hat die Bilder gemacht? Durfte der (die) das überhaupt? ;-) Genau das wollt ich noch mal anführen. Die Bildparanoia in der Szene.  Über die ist mittlerweile die Digitalphotographie hereingebrochen und hat ihr Fotoverbot grad mal so beiseitegefegt. Steht hier zwar nicht drin, aber ich könnte weitere Punkte anfügen.
Dazu erstmal ein Einschub. Die Kapitel sind mit Sprüchen unterlegt. Natürlich darf der Klospruch von den Stämmen nicht fehlen, die überleben werden. Sicher werden sie das. Als IKEA Regal. Und dann haben wir sinnigerweise noch den Songtext … and time is right for fighting in the street …
Hier endet das Zitat, dafür weiß jeder wie es weitergeht. Aber was kann n armer Junge schon tun, als in ner Rock n Rollband zu spielen. Weil, das verschlafene London keine Streetfighter gebrauchen kann. So etwa, frei übersetzt.
Das sagt uns was? Jede Politgeneration (plus ihrer altersmäßigen Überschneidungen) mußte erleben, daß ihre Zeit irgendwann um ist. Dazu hieß es mal, Autonome sind Jugendliche über dreißig. Netter Witz. Auch die durften erleben, wie auf einmal Jugendliche im richtigen Alter erschienen, deren Welt sie nicht mehr verstanden.  Die anders aussahen, anders redeten und für die andere Dinge wichtig waren.  Schon um Achtzig herum hieß es, your to old, your hair is to long. Doch um die Haarlänge ging es schon lange nicht mehr. Eher um neue Generationen, unter denen der Altautonome auf einmal wirklich alt aussah.
Erfährt man hier freilich nicht. 1993 war der Autor urlaubsreif und brauchte erstmal Abstand. Wovon? Dreizehn Jahre überall dabei gewesen? Na bei allem was so lief und sich nie die Frage gestellt, warum bleiben wir unter uns? Warum treten wir auf der Stelle? Die Frage ist bis heute unbeantwortet.
Autonome Inside? Die Antwort bekommt man im Netz eher geliefert. Autonome als Durchlauferhitzer für ein paar Jahre und danach zurück zur Karriere. Tatsächlich führte der Weg vieler die keinen Intellektuellen Hintergrund hatten, irgendwann zu Hartz IV. War irgendwie absehbar. Nicht jeder eignet sich für die Arbeitsmühle. Ist aber auch ein Thema für sich.
Genug gemeckert. Was lässt sich abschließend sagen?
Das letzte Kapitel führt ins Jahr 2008.  Der Autor liest online die Berichte aus Athen. Erinnert an seine wilden Jahre. Es kracht in Athen und Anlass ist der Tod eines Jugendlichen. Was man im Text nicht erfährt, dieser Jugendliche (Alexis) stammt aus der Oberschicht.  Unwichtiges Detail? Oder passt es nicht ins Weltbild? So als Hinweis, das Leben ist eben nicht immer so eindeutig wie vor den Reihen der Bullen wo man weiß, in welche Richtung man werfen muß. Hier wir,da die Bullen. Eine klare Frontlinie. Zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich ziehen, wie es mal einer der Helden ausdrückte. Dummerweise stellt sich das Leben etwas komplexer dar. Wollt ich nur mal unfairerweise angemerkt haben.
PS: Nun wenn der Anlass der Demos eher in Nebensätzen beschrieben wird, die sich oft nur dem Insider erschließen, da sollte ich nicht so streng sein. Hab ja auch etliche Bilder im Kopf und längst vergessen, um was es da genau ging. Notfalls war ich halt wegen der Weiber da. ;-))
Was soll diese sexistische Kackscheiße jetzt wieder? Schlafen die Mods? Wieso steht dieser Kack immer noch auf Indymedia? Tut er ja gar nicht ;-)))  und die Indymedia Mods haben hier nichts zu melden.
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